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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 05.07.2006
Aktenzeichen: 17 U 270/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 277
Ein Monteur, der sich in einen ungesicherten Fahrstuhlschacht begibt, verhält sich in einer nicht mehr nachvollziehbaren Weise leichtfertig.
Gründe:

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Unfall vom 01.08.2002 in Anspruch, zu dem es auf einem Firmengrundstück des Beklagten gekommen ist. Der Kläger, der als Elektromeister bei der Firma A GmbH beschäftigt war, begab sich zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Steuerung des Schräglastenaufzuges in den Bereich des Aufzugschachtes, als die seit mehreren Jahren nicht gewartete Aufzugsplattform herabfiel. Der Kläger erlitt hierbei schwerste Verletzungen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, den Kläger selbst treffe das überwiegende grobe Verschulden, das eine Mithaftung des Beklagten ausschließe. Der Kläger sei zur Reparatur des Fahrstuhles gerufen worden und habe gewusst, dass dieser nicht ordnungsgemäß funktioniert habe, ohne den genauen Defekt und die Auswirkungen zu kennen. Er habe deshalb nach Auffassung des Landgerichts wegen des erkennbar veralteten Zustandes mit dem Abrutschen der Plattform rechnen müssen. Außerdem sei auf diese Gefahr auch noch durch ein Warnschild hingewiesen worden. Der Kläger habe sich aufdrängende Sicherheitsmaßnahmen außer Acht gelassen. Im Übrigen sei der Kläger kein Dritter, dem die Gefahrenquelle habe offenbart werden müssen. Der Kläger sei Fachmann und habe das Gefahrenpotential beurteilen können.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Er beantragt, den Beklagten zu verurteilen

1. an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 30.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 23.8.2005 zu zahlen,

2. dem Kläger 18.131,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 2/3 sämtlicher materieller und immaterieller Schäden, die dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 1.8.2002 entstanden sind bzw. entstehen werden, zu ersetzen, soweit die Ansprüche in dieser Höhe nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Kläger macht insbesondere geltend, er sei nicht auf die unfachmännische Reparatur des Zugseiles hingewiesen worden. Das Landgericht sei auch unzutreffend davon ausgegangen, dass die Wartung nur "möglicherweise" den Unfall verhindert habe. Im Übrigen habe der Kläger auf keine Abstützvorrichtung zurückgreifen können. Der Kläger habe immer bestritten, sicherheitstechnische Fachkenntnisse zu haben. Trotz Angabe "bestimmter Beweisangebote" habe das Landgericht hiervon keinen Gebrauch gemacht.

Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und den beiderseitigen Parteivortrag, insbesondere auch auf die Berufungsbegründungsschrift und Berufungserwiderungsschrift Bezug genommen.

Weiter wird insbesondere Bezug genommen auf das durch den Sachverständigen SV1 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erstattete Gutachten vom 04.10.2002 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2006 über die in zweiter Instanz erfolgte Anhörung des Sachverständigen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt und begründet worden.

Das Rechtsmittel hat aber keinen Erfolg, weil das Landgericht die Klage zu Recht aus dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 254 BGB) mit der Begründung abgewiesen hat, der Verschuldens- und Verursachungsanteil des Klägers überwiege derart schwer, dass eine Haftung des Beklagten ausgeschlossen werde.

Der Begründung der Klageabweisung durch das Landgericht ist zwar nicht in allen Punkten zu folgen.

Der Kläger rügt insoweit zu Recht, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, der Unfall sei nur "möglicherweise" durch Wartungsarbeiten verhindert worden. Aus dem Gutachten des SV1 ergibt sich vielmehr, dass es "bei regelmäßig durchgeführten Wartungen und Prüfungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu diesem Unfall gekommen" wäre. Dem Gutachten zufolge wären vorhandene erhebliche sicherheitstechnischen Mängel frühzeitig erkannt worden und hätten beseitigt werden können.

Weiter muss davon ausgegangen werden, dass auch ein mit der Fehlersuche beauftragter Monteur in den Schutzbereich der vom Beklagten verletzten Wartungspflicht fällt, obwohl er als Fachmann herangezogen wird. Auch Monteure gehören zu dem Personenkreis, mit deren Gefährdung durch die Anlage gerechnet werden muss und deren Verletzung sich als adäquat kausal verursachte Verletzung von Wartungspflichten darstellt.

Das Landgericht ist aber zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat, als er unter die ungesicherte Fahrstuhlplattform trat, um Reparaturarbeiten vorzunehmen und die Plattform in Gang zu setzen. Das Landgericht hat insoweit auch nicht etwa auf besondere Fachkenntnisse eines auf Fahrstühle spezialisierten Monteurs oder auch nur eines Elektromonteurs abgestellt, sondern darauf, dass "jeder vernünftig handelnde Mensch" im Hinblick auf den durch die Lichtbilder erkennbaren veralteten und außergewöhnlich schlechten Zustand des Fahrstuhles die Gefahrensituation erkannt und vermieden hätte. Es muss sich jedem regelrecht aufdrängen, dass ein Fahrstuhlschacht nicht ohne zwingenden Grund und in keinem Fall ohne die erforderliche Absicherung betreten werden darf. Dies gilt bereits unabhängig von dem auffällig schlechten Zustand der Fahrstuhlanlage. Ein Monteur, der sich in einen ungesicherten Fahrstuhlschacht begibt, verhält sich in einer nicht mehr nachvollziehbaren Weise leichtfertig. Hier kommt hinzu, dass sich aus dem unstreitigen Sachverhalt und den Lichtbildern (Lichtbildmappe Bl. 12 f. d. Ermittlungsakte) bereits äußerlich ohne nähere Untersuchung der Eindruck aufdrängt, dass die verschmutzte und verrostete Anlage in einem absolut unzuverlässigen Zustand war, der sie als besonders gefährlich erscheinen ließ. Bereits dieser Zustand hätte zwingend dazu führen müssen, dass der Kläger die Anlage einer genauen Untersuchung unterzog, wie das - entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen - auch ohne entsprechende ausdrückliche Vorschrift jeder Monteur auch dann machen wird, wenn er kein Fachmonteur für Fahrstuhlanlagen ist. Der Kläger hätte in diesem Fall auch zwingend die in den Lichtbildern näher dargestellten technischen Mängel und auch das geflickte Seil entdecken müssen. Eines besonderen Hinweises auf den erkennbar ungewarteten und besonders schlechten Zustand der Anlage, insbesondere auch auf die Flickstelle des Seiles, dessen besondere Bedeutung einem Laien und auch einem nicht spezialisierten Monteur nicht bekannt sein musste, bedurfte es deshalb nicht.

Außer dem Unterlassen von Wartungsarbeiten - beziehungsweise der Stilllegung der nicht gewarteten Anlage - kann dem Beklagten auch nicht zusätzlich zur Last gelegt werden, dass er nicht für eine Abstützvorrichtung gesorgt hat, weil die Abstützung auch in anderer, leicht zu beschaffender Weise, wie durch eine Leiter, eine Eisenstange - wie nach dem Unfall geschehen (Lichtbildermappe Bl. 13 d. Ermittlungsakte) - oder einen Balken erfolgen kann, worauf der Sachverständige hingewiesen hat. Dieser hat noch hinzugefügt, dass er selbst auch nicht bei vorhandener Abstützvorrichtung in den Fahrstuhlschacht getreten wäre.

Auf das Unterlassen von Hinweisen kann der Kläger sich im Übrigen schon deshalb nicht berufen, weil die Arbeiter des Klägers, deren Verhalten er sich zurechnen lassen muss, davon ausgehen durften, dass von Seiten der beauftragten Firma für "technische Anlagen" ein Fachmonteur für Fahrstuhlanlagen mit den Arbeiten beauftragt wird. Die Arbeiten an einem Fahrstuhl können im Übrigen nicht unterteilt werden in solche, die auch ein nicht spezialisierter Elektromonteur erledigen kann, und solche, für die ein Fahrstuhlmonteur herangezogen werden muss. Der insoweit erteilte Auftrag ging ersichtlich dahin, einen stecken gebliebenen Schrägaufzug wieder in Gang zu setzen. Welche Arbeiten hierzu erforderlich sind, kann jedenfalls aus der Sicht eines Laien nicht beurteilt werden.

Besonderes Gewicht erhält der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers vor allem auch daraus, dass er trotz des in seinem Arbeitsbereich befindlichen Hinweises "nicht unter die Plattform treten" (Lichtbilder Bl. 13, 16 d. Lichtbildmappe) in den Fahrstuhlschacht trat, obwohl dies entgegen seinem Vortrag nicht zwingend erforderlich war, sondern vielmehr leicht hätte vermieden werden können. Wie sich aus den Lichtbildern (Bl. 14 d. Ermittlungsakte) ergibt und der Sachverständige bestätigt hat, war es nicht zwingend erforderlich, unter die Plattform zu treten. Der Kläger hätte die Arbeiten an dem Schaltkasten ohne weiteres auch unterhalb der Laufschienen in gebückter Haltung vornehmen und damit jede Gefährdung vermeiden können.

Die Verursachung und das Verschulden des Beklagten, der den Schräglastenaufzug in dem wenige Monate zuvor von seinem verstorbenen Vater übernommenen Betrieb nicht hatte warten oder stilllegen lassen, muss gegenüber diesem nicht mehr nachvollziehbaren schweren Fehlverhalten des Klägers im Rahmen der Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zurücktreten und führt nicht dazu, dass der Kläger auch nur einen Teil des entstandenen Schadens zu tragen hat. Es wäre vielmehr gerade Sache des Klägers gewesen, den Beklagten auf die Notwendigkeit der sofortigen Stilllegung der Anlage und der Durchführung umfangreicher Arbeiten vor einer Wiederinbetriebnahme hinzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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